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Irgendetwas motiviert uns zu handeln, zu reagieren und zwar OHNE dass wir darüber nachdenken.
Denn das mit dem Denken ist so eine Sache. Ja, wir besitzen ein Gehirn, das fähig ist zu denken - wir können uns an Vergangenes erinnern, für die Zukunft Pläne schmieden oder mit Informationen jonglieren, Entscheidungen treffen. Allerdings versucht unser Gehirn das Denken nach Möglichkeit zu vermeiden.
Kennen Sie den Song von Juliane Werding aus dem Jahr 1975: "Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst"? Da ist viel Wahres dran!
Sie denken jetzt vielleicht: "Nein, das glaube ich nicht." Ich denke doch andauernd, habe ständig irgendwelche Gedanken im Kopf, manchmal sogar eine Kirmes voller Gedankenkarussells.
Doch denken Sie dann wirklich? Oder doch nicht?
Ist es vielleicht wie jetzt, ein Gefühl, ein innerer Widerstand, der sich in Ihnen regt, das sich seinen Weg in Ihr Bewusstsein sucht und sich letztlich als ein Wort, einem "Nein", äußert?
Die Hauptaufgabe unseres Gehirns ist simple: Es soll unser Überleben sichern.
Und soll eben nicht dafür sorgen, dass wir glücklich oder zufrieden sind, ein schönes, einfaches, bequemes und erfülltes Leben haben. Das ist einzig und allein unser Job, kein Automatismus.
Um einem Profi in der Gefahrenerkennung, -analyse und -abwehr, wie es unser Gehirn ist, Aufgaben abzunehmen bzw. modifizierte Aufgabenbeschreibungen zu geben, müssen wir uns anstrengen. Da führt leider kein Weg dran vorbei.
Ist auch nicht anders, wenn wir ein Sixpack haben, eine neue Sprache oder Klavier spielen lernen oder viel Geld verdienen möchten.
Von alleine und ganz ohne Anstrengung passiert das leider nicht. Veränderungen brauchen einen gewissen Energieaufwand und meist auch Zeit (Stichwort "Geduld").
Zwei Umstände sprechen zunächst einmal gegen das Denken – Geschwindigkeit (Zeit) und Energie.
Auch wenn unser Gehirn nur etwa zwei Prozent unseres Körpergewichts ausmacht, verbraucht es gut 20 Prozent der überhaupt im Körper vorhandenen Energie (unser Herz benötigt ca. 2%).
Man könnte es nun als Energiefresser sehen, darf dabei allerding nicht vergessen, was es alles leisten, worum es sich alles kümmern muss. Sein Aufgabengebiet ist immens und deshalb geht es sparsam mit der begrenzten Ressource "Energie" um.
Würde Ihre Spülmaschine, die Ihnen ohne Frage gute Arbeit leistet, noch Energieklasse G haben, würden Sie sie vermutlich auch nicht ständig, und ohne wichtigen Grund, halbleer laufen lassen.
Mit der, für die meisten Menschen begrenzten Ressource Geld, kann man besseres anfangen und lieber mal ein paar Gläser und Teller von Hand abwaschen. Nun, Ihr Gehirn ist genauso schlau wie Sie und vergeudet nicht unnütz, ohne wirklich wichtigen Grund, wertvolle Ressourcen.
Und Denken ist für unser Gehirn eben oftmals, im Sinne seiner Bestimmung, einfach unnütz. Zum Überleben braucht es kein (Nach-)Denken über innere Zufriedenheit oder wie man bessere Beziehungen führt.
Energie braucht es nicht nur für das Non-Stopp-Scannen der Umgebung auf mögliche Gefahren (selbst wenn wir im Land der Träume sind, ist unser Gehirn wachsam). Auch soll uns für einen Notfall immer ausreichend Energie zur Verfügung stehen.
Wäre schließlich echt blöd, wenn wir, sollte es mal wirklich notwendig sein, nicht unsere Beine in die Hand nehmen und ganz schnell wegrennen können, weil wir unsere Energie zuvor mit "unnützem" Denken verbraucht haben.
Der Faktor Zeit ist ebenfalls nicht außer Acht zu lassen, wenn es um unser Überleben geht:
Erst Denken – "Ah, rote Lichter am Autoheck. Der vor mir bremst. Oh ha, der bremst aber ganz schön heftig. Warum eigentlich, die Ampel ist doch grün! Ich sollte wohl aber auch mal lieber auf die Bremse... Oh shit!" – kostet zu viel Zeit.
Es hat schon seinen Grund, dass es NACH-denken und nicht VOR-denken heißt.
Und wenn wir doch mal vordenken, sprich planen...
Wir haben alle die Erfahrung machen dürfen, wie gut das funktioniert. Meist kommt unseren Plänen dann doch das Leben dazwischen.
Es muss also eine sehr schnelle Möglichkeit geben, die uns vor dem Denken, sofort und unverzüglich handeln lässt.
Sprich bevor wir eine Situation überhaupt bewusst wahrgenommen haben. Ein System, das uns blitzschnell die Entscheidung abnimmt, was wir tun und wie wir es tun.
Eine gute Nachricht: Unser Gehirn kann das! Und Sie haben ganz sicher auch schon häufiger, von dieser Fähigkeit profitiert.
Eine weitere gute Nachricht: Wir geraten Gott sei Dank heutzutage eher selten in für uns tatsächlich lebensbedrohliche Situationen, als noch ein Fred Feuerstein.
Was hat nun Fred damit zu tun?
Anders als Freds und unsere heutigen Lebensumstände, unterscheidet sich unser Gehirn und das von Fred nicht gravierend.
Es hinkt also der Zeit "ein ganz klein wenig" hinterher. Die Evolution kann mit der Geschwindigkeit, in der sich das Leben, die Gesellschaft, die Technik besonders in den vergangenen 200 Jahren verändert hat, einfach nicht mithalten.
Und ob es uns nun gefällt oder nicht -
unser Gehirn betrachtet die Welt noch immer durch die "Steinzeit"-Brille.
Es suggeriert uns "Säbelzahntiger" (= Gefahr = Angst), wobei wir "nur" mit unserem Partner streiten, der Typ uns gegenüber schief anguckt, wir gerade nicht das bekommen, was oder wie wir es aber unbedingt haben wollen bzw. erwarten, die WhatsApp-Nachricht nicht umgehend beantwortet wird, obwohl da doch zwei blaue Haken sind...
Bedeutete erste Begegnung echte Lebensgefahr, interpretiert unser Gehirn einen Streit, einen Blick, Schweigen, etc. als eine für uns lebensbedrohliche Situation.
Es macht einfach keinen Unterschied zwischen: ist!!! und könnte??? (eventuell, möglicherweise, ganz vielleicht) für uns lebensgefährlich sein.
Es geht immer auf Nummer sicher, ignoriert den Konjunktiv "könnte", macht daraus ein "ist" und handelt. Frei nach dem Motto:
"Vorsicht ist IMMER besser als Nachsicht."
Wie immer hat die Medaille zwei Seiten, daher nun zur weniger guten Nachricht:
In der heutigen Zeit reagieren wir mit unserem schnellen System öfter auch mal (viel) zu schnell, der Situation nicht angemessen.
Kennen Sie sicher auch:
Zack, und schon haben wir etwas gesagt, was wir eigentlich gar nicht sagen wollten (nun aber auch nicht mehr zurücknehmen können), haben die Tür geknallt, die Vase der Oma auf den Boden zerdeppert, das gemeinsame Bild zerrissen, die Lieblingsjeans zerschnitten, einen Vertrag unterschrieben oder einen Vorwerkstaubsauger gekauft.
Denn die spontane (schnelle) Reaktion auf Gefahr, heute wie damals: Kampf, Flucht oder Erstarren.
Und da die Gefahren heute zumeist andere sind, als noch zu Freds Zeiten, unterscheiden sich auch die spontanen Reaktionen zum Teil deutlich von seinen.
Ich gehe davon aus, dass Fred seine Wilma eher nicht mit Stories in Sozialen Medien eifersüchtig gemacht oder Wilma das Handy von Fred auf verdächtige Nachrichten durchsucht hat.
Wenn also nicht gerade ein "Säbelzahntiger" vor uns steht, unser Leben ganz offensichtlich nicht in Gefahr ist, wäre es klug, nachdem wir tief durchgeatmet haben, mal genauer hinzugucken.
Eine nicht (umgehend) beantwortete Nachricht wird eher selten unseren Tod herbeiführen, ebenso wenig ein schiefer Blick, ein Streit mit unserem Partner oder eine Abfuhr von unserem Schwarm.
Hier gibt es einfach keinen logischen Grund zu kämpfen, zu fliehen oder zu erstarren. Was nun stattdessen Sinn machen würde?
Denken!
Nachdenken darüber, mit welcher Reaktion wir zum Beispiel unsere Chancen erhöhen, das zu bekommen, was wir haben wollen. Mit: "Du hättest ja auch mal sofort antworten können.", bekommen wir es wohl eher nicht.
Oder darüber, ob der Typ mich oder vielleicht doch die Person hinter mir angeguckt hat oder einfach nur einen Sehfehler hat. Ich etwas nicht gelesen oder gehört habe, Sich zu eher fragen, ob der Person etwas zugestoßen ist, es ihr gut geht, bevor wir ihr etwas unterstellen.
Wir sollten anerkennen, und in unsere Überlegungen mit einbeziehen, dass uns etwas leitet, steuert, beeinflusst, das nicht "up to date" und daher nicht für jede Lebenslage gleichermaßen sinnvoll ist.
Denn leider gibt es auch im Zeitalter der Updates keines, das wir hochladen könnten, um unser Gehirn aus der Steinzeit in die heutige Zeit zu katapultieren. Wir müssen mit dem "arbeiten", das BENUTZEN, was uns gerade zur Verfügung steht.
Und eine dieser Fähigkeiten, die wir benutzen können, ist zu DENKEN.
Wir können und sollten also ab und an aus dem Autopilotenmodus aussteigen und das Steuer selbst in die Hand nehmen und entscheiden, wo es lang geht, wie wir reagieren (möchten), wie wir handeln (wollen).
Sicher, wir werden es nie schaffen die volle Kontrolle über unsere Reaktionen und unser Handeln zu übernehmen. Gut so! Denn wir wären nicht in der Lage, uns unfallfrei durch die komplexe Welt zu navigieren in der wir leben.
Jedoch können wir uns (Lebens-)Bereiche raussuchen, die für uns (gerade) wichtig sind, in denen wir etwas verändern, (für uns) verbessern möchten.
Uns zunächst auf diesen kleinen Teil konzentrieren, hingucken, dazulernen, üben und so unseren eigenen Werkzeugkasten erweitern. Wir damit nach und nach mehr Kontrolle über unser Leben bekommen, (mehr) Sicherheit in uns und unserem Leben gewinnen und damit immer auch unabhängiger und freier werden können.
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JULI 2023